Ein unvergessliches Radsporterlebnis von 14 Radsportfreunden und zwei sehr netten Supportern im Begleitbus.
(10.9.-18.9.2022) Bevor dieses Abenteuer überhaupt starten konnte, waren natürlich eine ganze Reihe von Vorbereitungen notwendig. Unser Präsident kennt sich damit aus und hatte die Reise für uns geplant.
Unsere Alpenüberquerung war grob wie folgt geplant: Anreise mit dem Zug über Paris, Transport unseres Gepäcks und unserer Fahrräder mit einem gemieteten Transporter zum Startort. Von dort aus dann jeden Tag ein paar Alpenpässe fahren, bis zum Zielort Nizza. Von dort aus dann mit dem Flieger zurück nach Düsseldorf. Insgesamt 9 Tage.
Samstag, 10.9.2022 – Es geht los 😊
Unser Reiseplan sah vor, dass wir von Essen mit dem Thalys nach Paris fahren, dort ca. 2h Aufenthalt haben und dann mit dem TGV bis zum Zielort weiterfahren. Das hat auch bestens geklappt – der Thalys war 1 Minute vor der geplanten Ankunftszeit in Paris…
Was bietet sich für eine Gruppe von radsportverrückten Deutschen am besten in Paris an? Richtig 😊 Mit dem Miet-(E)-Bike durch die Stadt fahren und sich Sehenswürdigkeiten anschauen… Die Mietrad-Plattform hatte noch deutliches Verbesserungspotenzial. Wir haben die meiste Zeit dieser 2 Stunden damit verbracht unsere Räder auszuleihen und wieder ordentlich abzugeben. Die Sehenswürdigkeiten haben wir dann während der Fahrt fotografiert 😊
Nachdem wir dann in letzter Minute unseren TGV erreicht hatten, hat uns dieser mit unglaublicher Geschwindigkeit bis St-Jean-de-Maurienne gebracht. Dieses Nest liegt ca. 70km östlich von Grenoble und hat tatsächlich einen Bahnhof für den TGV.
Für unsere Etappenfahrt war dann vorgesehen, dass jeweils ein Begleitfahrzeug pro Gruppe die Radsportler den ganzen Tag begleitet.
Sonntag, 11.9.2022 – Ab in die Berge
Unsere Unterkunft war ein bekanntes Tour de France-Hotel (Hotel de l’Europe). Nach einer entspannten Nacht und gutem Frühstück ging es bei bestem Wetter direkt in den ersten Alpenpass, den Col du Sapey (1306m) hinein. Diesem Berg eilte der Ruf ein bisschen voraus – berühmt und berüchtigt ist der letzte Kilometer zum Gipfel – mit Rampen bis zu 25% Steigung und durchschnittlich bestimmt 16-18% kostete dieser Hügel einem die letzten Körner… schlecht, wenn man am gleichen Tag noch zwei weitere Cols bezwingen wollte…
Auch schlecht: Unser Begleittransporter musste da ja auch hoch und hatte merklich mit den Steigungen zu kämpfen… und natürlich mit den teils einspurigen Serpentinen…
Die Mühen wurden aber belohnt – die Aussicht auf dem Col du Sapey war fantastisch, für die Social-Media-Experten hatte man direkt eine Ablage für das Mobiltelefon aufgestellt, um bestmögliche Selfies erstellen zu können 😊
Nach einer schönen Abfahrt stand dann der zweite Berg des Tages an – der Col de Beau Plan (1440m) hat eine gleichmässige, nicht zu steile Auffahrt, auf der man eine tolle Aussicht genießen kann.
Auch die Abfahrt war wieder wunderschön, nicht zuletzt, weil das Wetter wirklich nicht besser hätte sein können – es war kein einziges Wölkchen am Himmel.
Letzter Aufstieg für diesen Tag war dann der Col du Télégraphe (1566m) – das ist quasi auf halber Höhe zum Col du Galibier, den wir am nächsten Tag fahren wollten.
Der Etappentag hatte es wirklich in sich: fast 2600 Höhemeter auf nicht mal 70km Streckenlänge. Am nächsten Morgen folgte dann unsere Königsetappe, rauf auf den Col du Galibier und den Col d’Izoard.
Montag, 12.9.2022 – Guten Morgen, Sonnenschein 😊
Zum Col du Galibier (2642m) muss man wohl nicht viel sagen – die Tour de France hat den Berg fast jedes Jahr im Rahmen einer Etappe im Programm und der Galibier war auch der erste Alpenpass, der im Rahmen der Tour der France erklommen wurde (1911). Die Auffahrt auf diesen Berg geht zuerst recht gemässigt durch eine längere Hochebene, bevor man sich dann in Serpentinen zum Pass hoch quält.
Mit dem Wetter hatten wir weiterhin unglaubliches Glück – wolkenfreier Himmel und relativ „humane“ Temperaturen oben auf dem Pass (7 °C). Wir wurden mit einer tollen Fernsicht belohnt und der eine oder andere hat nun Erinnerungen von professionellen Fotografen, die am Strassenrand die gequälten Gesichter aufgenommen haben.
Auf einer 35km langen Abfahrt über den Col du Lautaret ging es dann wieder runter auf 1250m in das Örtchen Briancon.
Die anschließende Auffahrt zum Col d’Izoard (2360m) war wieder ein echtes Highlight – über langgeschwungene Serpentinen ging es bei strahlendem Sonnenschein hoch zum Pass. Im Gegensatz zum Galibier waren die Temperaturen oben auf dem Izoard so gemäßigt, dass man locker in kurz-kurz auf den Kiosk-Bänken sitzen konnte 😊 Für die Abfahrt haben wir dann aber doch zum Langarm-Trikot aus dem Begleittransporter gegriffen, um nicht zu stark auszukühlen.
Die Abfahrt durch die „Gorges du Guil“ bis nach Guillestre ist ein absolutes Highlight – man weiß gar nicht, wo man hinschauen sollte – die Passstrasse ist direkt in den Felsen gehauen und man fährt gefühlt direkt an der Kante der Schlucht entlang. Wir haben mehr als einmal für einen Fotostopp angehalten und den Moment genossen.
Im Hotel in Guillestre gab es dann zum Empfang im Garten La Sauvage Blonde Bio-Bier.
Das Hotel selbst hatte kein angeschlossenes Restaurant – man hatte aber für uns einen Platz in einem wunderschön in einem Kellergewölbe gelegenen Restaurant reserviert, in dem wir hervorragendes Essen serviert bekommen haben 😊
Dienstag, 13.9.2022 – „Ruhetag“ in Guillestre
Für die einen war es ein echter Ruhetag – also ein Tag ohne Fahrrad fahren. Für die anderen Unerschrockenen genau die Gelegenheit, den höchsten Alpenpass in der Umgebung zu erklimmen - Col de la Bonette (2715m) – Respekt! Ich habe mich dann doch für nen Spaziergang durch den nächstgrößeren Nachbarort Embrun entschieden…
Abends gab‘ es dann in Guillestre wieder leckeres Essen und natürlich Bier! Wir mussten uns ein bisschen Mut antrinken – für den nächsten Tag war Regen angesagt… also das erste (und auch einzige) Mal schlechtes Wetter… die passenden Klamotten hatte ich mir schon am Abend bereitgelegt…
Mittwoch, 14.9.2022 – Die Natur freut sich oder: es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung…
Aufgewacht, kurz innegehalten und dem Wetter gelauscht – es rauscht leicht draußen…. Es regnet, es gießt, es schüttet…
Es half nichts. Die Wettervorhersage stimmte leider – es regnete in Strömen und unsere Motivation bei einem solchen Wetter Rennrad zu fahren hielt sich stark in Grenzen.
Die heutige Etappe sah vor, dass wir direkt hinter Guillestre zum Col de Vars (2108m) hochfahren, über eine über 30km lange Abfahrt dann nach Barcelonnette (1100m) und final 28km bergauf zum Col de la Cayolle (2326m) kurbeln.
Unsere Standard-Ausstattung für den heutigen Tag waren neben der obligatorischen Regenjacke, Zwiebel-Prinzip bei den Klamotten, wasserdichte Schuh-Überzieher, Arm- und Beinlinge, lange Handschuhe und für die, die an so etwas gedacht hatten, ein Überzieher für den Helm. Durch den Regen war es deutlich abgekühlt und die sehr langen Abfahrten würden ihr übriges tun…
Die Auffahrt zum Col de Vars war dann weniger schlimm als erwartet – dadurch, dass man fast 24km bergauf gefahren ist, war der Körper schön warm und man hat den Regen irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen. Oben auf dem Pass kam dann tatsächlich die Sonne raus und wir haben unsere Regenjacken trocken können. Aus dem Transporter gab‘ es zusätzlich nen warmen Kaffee und frische Klamotten – was will man mehr… die Stimmung war prima.
Die Abfahrt nach Barcelonnette zog sich dann wie Kaugummi – und es fing wieder an zu regnen – zuerst nur ein bisschen, dann aber eimerweise.
Die Auffahrt zum Col de la Cayolle ist wunderschön – wahrscheinlich eine der schönsten Passstraßen in den französischen Alpen… und interessanter Weise sorgten die Mengen an Wasser für unglaubliche Eindrücke – Wasserfälle, wohin man geschaut hat, Naturgewalten, vollgelaufene Fluss-Bette und beeindruckende Geräusch-Kulissen… das hätten wir bei trockenen Bedingungen sicherlich ganz anders erlebt.
Fun-Fact am Rande: Einen Tag später war die komplette Passtrasse wegen Geröll und den Wassermassen für den Verkehr gesperrt…
Oben am Pass hat dann ein anderer unerschrockener Tourist noch ein Gipfelfoto von uns gemacht, bevor wir direkt die Abfahrt in Angriff genommen haben.
Auf der 16 Kilometer langen Abfahrt sind wir dann trotz angezogener Bremsen und bedächtiger Fahrt ordentlich ausgekühlt und haben uns wie Bolle auf eine heiße Dusche im Hotel im Zielort Entraunes gefreut. Als wir gegen 17 Uhr am „Hotel“ ankamen hing an der Tür ein Schild, dass das Hotel wieder um 18:30 öffnen würde… das Hotel war eine Herberge: Auberge Roche Grande.
Der Herbergs-Vater hatte mit uns ein Einsehen und die Tür dann doch schon früher aufgemacht.
Nach und nach trudelten dann die anderen Radsportfreunde ein und die „Ski-Hütte“ wurde voller und voller – die Luft da drinnen konnte man wohl schneiden…
Eigentlich sind wir (wenn man mal vom Abendessen absieht) den ganzen Abend nicht aus der Stube gekommen – der Wirt und Herbergsvater Christophe hat sich so darüber gefreut ein paar „Fremde“ zu sehen, dass wir nach und nach mit Rum abgefüllt wurden… Und das war dann wohl auch meine Rettung gegen eine eventuelle Erkältung – Desinfektion von innen sozusagen 😊
Donnerstag, 15.9.2022 – Aua, Kopf…
Wie heisst es so schön: Wer trinken kann, kann auch Rad fahren (oder so ähnlich).
Bei einigen Radsportfreunden hat die Medizin vom Abend zuvor ganze Arbeit geleistet 😊 …Keine Erkältung…
Es ging bei jetzt wieder strahlendem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen aus Entraunes erst einmal ein gutes Stück weiter bergab – das kam uns sehr gelegen – eine Ausnüchterungsfahrt quasi…
Nach 18km folgte dann der erste Anstieg des Tages: Der Col de Valberg (1672m) – der Pass ist wunderschön zu fahren, über langgezogene Serpentinen hat man immer einen tollen Blick ins Tal hinab und kann schauen, wo die Vereinskollegen gerade stecken 😉
Oben auf dem Col de Valberg gibt es einen tollen Aussichtspunkt auf das Alpenpanorama (inklusive Col de la Cayolle) – wieder bei bestem Wetter und toller Fernsicht.
An diesem Tag war der Plan, dass ich nach dem nächsten Pass „Col de la Couillole (1650m) unseren Transporter bis zum Tagesziel fahre.
Gesagt, getan: Rad verstaut, Radio mit meinem Handy verbunden, Musik aufgedreht und ab dafür den Pass runter… Oha… Transporter breit und lang mit Zwillingsreifen, Straße schmal, einspurig und sehr kurvenreich – oft nur Platz für einen PKW… Das war anspruchsvoll und ich hatte Glück, dass es für den Durchgangsverkehr eine Strasse durch das Tal gab… es ist definitiv einfacher mit dem Rad einen solchen Pass zu fahren, als mit so einem Okolyt… Modell „Schrankwand“.
Nachdem meine Kollegen den Col Saint-Martin bezwungen hatten, ging es auf der Abfahrt runter nach Roquebillière – im Tal der Kommune Saint-Martin-Vésubie sah es dann aus wie auf einem fremden Planeten – überall riesige Felsbrocken verstreut und eine provisorische Straße, die am Flussbett des Vésubie entlang ging. Saint-Martin-Vésubie ist 2020 von einer verheerenden Springflut heimgesucht worden und hat nahezu das ganze Tal zerstört… es sah fürchterlich aus.
Im Hotel Saint Sébastien in Roquebillière war dann mal wieder etwas Zeit zum Klamotten waschen und Material pflegen – am nächsten Tag ging es ja nach Nizza und da wollten wir natürlich in frischem Glanz strahlen 😉
Freitag, 16.9.2022 – Über den Dächern von Nizza
Ist heute wirklich schon der letzte „Rennrad-Tag“ unserer Etappenfahrt? Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen war – jeden Tag so unglaubliche Eindrücke gesammelt und irgendwie gewöhnt man sich auch an die tagtäglichen Höhenmeter.
Von Roquebillière ging es nach einer kurzen Abfahrt über 15km hoch zum Col de Turini (1607m), quasi den Hausberg der TdF-Fahrer, die in der Nähe von Nizza wohnen.
Das waren am Stück über 1100HM, also noch mal ein ordentliches Pfund zum Schluss. Bei bestem Wetter wurden wir wieder mit einer fantastischen Aussicht belohnt.
Das Streckenprofil sah nun vor, dass wir über den Col de Castillon bergab fahren bis auf ca. 150m – fast 46km nur runter, mit ein paar kleinen Gegenanstiegen. Die Routenführung war dabei an einigen Stellen durchaus anspruchsvoll, so dass der eine oder andere Radsportfreund abseits der Route unterwegs war, meist aber wieder zurückgefunden hat 😉
An der Auffahrt zum Col de la Madone (922m) hatten wir wieder einen unglaublichen Fernblick – sogar das Meer konnte man von hier schon sehen.
Vom Gipfel ging es nun ca. 30km nur noch bergab bis Nizza. Auf einer wunderschönen Passstrasse, die uns dann zum Schluss nicht nur mit einem Blick aufs Meer, sondern auch auf Monaco und schließlich Nizza belohnt hat. Was für ein unglaublicher Ausblick!
Nachdem wir nun über eine Woche auf fast menschenleeren Straßen unterwegs waren, war das wie ein Sprung ins kalte Wasser, als wir in Nizza angekommen sind – überall Autos, Lärm, Verkehr, aber irgendwie auch schön hier zum Schluß auf dem Radweg direkt am Strand langzufahren. Nach und nach wurde einem nun klar, was für eine unglaubliche Woche wir gerade mit dem Rad erlebt haben.
Wir haben in einem Hotel ganz in Strandnähe eingecheckt (Hotel Gounod), in dem wir sogar unsere Räder mit aufs Zimmer nehmen durften (war wohl auch besser…).
In Nizza haben wir es uns noch einmal zwei Tage richtig gut gehen lassen: Bier auf der Dachterasse, gutes Essen am Strand, ein Besuch im Café du Cycliste, Sightseeing durch die Altstadt inkl. Kauf von Geschenken für die Liebsten zu Hause, sowie ein Bad im Mittelmeer bei mehr als angenehmen Wassertemperaturen.
Am Sonntag ging es dann mit dem Flieger zurück nach Düsseldorf und von da nach Hause. Eine unvergessliche Etappenfahrt ist viel zu schnell zu Ende gewesen.
Jochen Riese
Castrop-Rauxel, im Oktober 2022